Verlagsgründungen in diesen Zeiten sind eine heikle Sache. Erleben wir doch einen tiefgreifenden Strukturwandel des literarischen Feldes. Vieles, was unabhängige Verlage über Jahrzehnte getragen hat, droht zu verschwinden oder ist schon fort: Platz im Feuilleton, unabhängige Sortimenter, Lesefähigkeit und Neugier. Konjunkturelle Herausforderungen und geopolitische Tragödien wirken doppelt schädlich. All diesen Tendenzen versucht der Kanon Verlag zu trotzen. 2020 von einem Kreis erfahrener Literaturenthusiast:innen gegründet, erlebte er in kurzer Zeit viele Höhen und einige Tiefen. Nach wie vor wollen wir das Erzählen feiern. Indem wir Talente fördern, mit ihnen wachsen und unseren Autor:innen und Partnern ein verlässliches Gegenüber sind. Branchenpolitisch engagierten wir uns in der Kurt-Wolff-Stiftung, bei der buchmesse_popup oder beim PEN Berlin.
Unser Verlagsname bezeichnet nicht nur eine Liste an Büchern, die man gelesen haben soll. »Kanon« stammt aus der Sprache der Baumeister und bezeichnet das richtige Maß. Anderseits nennen wir vielstimmigen Gesang einen Kanon. Daher steht Kanon für Stimmigkeit und Vielstimmigkeit.
Das Verlagssignet ist der Affe, wir sind #diemitdemaffen. Die Fähigkeit zur Fiktion unterscheidet uns von unseren nächsten Verwandten. Das gilt im Guten wie im Schlechten. Daran erinnert uns unser lebhaftes Wappentier.
Wer ernsthaft schreibt, will komplexe Zeitströmungen mit den Mitteln der Kunst begreifen. Manchmal aber nur sich selbst. Wer ernsthaft verlegt, lässt sich auf beides ein. Daher fördern wir Erzähler:innen, die unter den Mainstream tauchen. Die wie Gabriela Wiener oder Christine Koschmieder über Körper, Scham und Familientabus schreiben; die wie Kirsty Bell oder Roswitha Quadflieg die deutsche Geschichte neu betrachten; die wie Domenico Müllensiefen oder Juliane Stückrad vom entwerteten Leben und Arbeiten im Osten erzählen. Die dänische Bestsellerautorin Stine Pilgaard bringt uns zum Lachen und ein politischer Kopf wie Klaus Lederer entwirft eine Vision für eine gerechtere, lebenswertere und nachhaltigere Welt.
Unser Programm ist Jahr für Jahr gewachsen, und doch wollen wir uns jedem Buch intensiv widmen. Zurzeit erscheinen bei Kanon etwa 18 Hardcover pro Jahr, davon ca. 12 belletristische Bücher und sechs aus den Bereichen Erzählendes Sachbuch, Tagebuch oder Briefe. Mindestens ein deutschsprachiges Erzähldebüt pro Jahr ist neben internationalen Titeln zu finden. Mit deren Übertragung betrauen wir preisgekrönte Übersetzerinnen und Übersetzer, etwa Hinrich Schmidt-Henkel, Pieke Biermann oder Friederike von Criegern. Unter einem »Buch« verstehen wir die vielgestaltige Form einer guten Geschichte, die als E-Book (via Bookwire), Bühnenstück, Filmvorlage oder weltweit als Auslandslizenz (via Andrew Nurnberg Associates, London) von uns angeboten oder verfügbar gemacht wird. Zu ausgewählten Titeln produzieren wir außerdem unsere eigenen Hörbücher. Im Frühjahr 2023 feierte zudem unser Kanon-Taschenbuchprogramm Premiere: die kanon colours. Ein Jahr später erschienen die ersten Titel der neuen Geschenkbuchreihe, tröstliche Bücher, illustriert und im handlichen Format: die kanon collection.
Alle klassischen Verlagsabteilungen wie etwa Herstellung, Vertrieb, Presse, Justiziariat – sind durch Expertinnen und Experten mit langjähriger Berufserfahrung besetzt. Nicht ständig, sondern modular. Permanent und fest sind Programm (Gunnar Cynybulk), Lektorat (Lotti Mischke) und Veranstaltungen/Vertrieb (Laura Lo Conte) repräsentiert, dazu eine Teilzeit-Position für Social-Media-Aktivitäten. Ein zehnköpfiges Team erfahrener Handelsvertreter:innen bereist den gesamten DACH-Raum, Auslieferungen in Deutschland, Schweiz und Österreich bestücken den Handel von der gut sortierten Kiezbuchhandlung bis hin zum Filialisten. Die Vertriebsleitung liegt bei den Zürcher Kolleg:innen von der unabhängigen Vertriebskooperative Liberté.
Schöne Bücher herzustellen ist unsere Leidenschaft. Der verkürzte Buchumschlag und der bedruckte Buchblock sind unsere Markenzeichen. Einige unserer Umschläge werden von Daniel Klotz auf einem alten Heidelberger Cylinder gedruckt, mit alten Holzlettern oder in französischem Blau. Der Typograph Ingo Neumann bringt den Satz ins rechte Maß, und die Druckerei Pustet in Regensburg vollendet diese stetige Verschönerung.
Die Stadt Berlin ist der große Bahnhof Europas, zwischen Moskau und Paris, Kopenhagen und Pristina, zwischen Krieg und Frieden. Hier leben und arbeiten wir, in der nie fertigen, von Zerstörung, Vertreibung und Autonomie gekennzeichneten City. Kirsty Bells »Gezeiten der Stadt«, Rebecca Donners »Mildred«, Ingke Brodersens »Lebewohl, Martha« oder Tim Staffels für den Deutschen Buchpreis 2023 nominierter Roman »Südstern« – unsere Autor:innen erkunden die Risse in der Stadtgeschichte.
Insofern freut es uns sehr, dass wir aktiv mithelfen können, diese Risse zu heilen. Kanon wird der deutschsprachige Kooperationsverlag von Altneuland Press, des ersten hebräischsprachigen Verlags außerhalb Israels seit 1948 mit Sitz in Berlin. Wir teilen Arbeit, Kosten und Umsätze – und die Vision von der humanen Wirkung exzellenter Literatur.
Jan Drees, Deutschlandfunk
»Wenn diesem Anfang kein Zauber innewohnt, ist uns nicht mehr zu helfen.«
Nils Kahlefendt, Börsenblatt
»Ein Kanon in der Musik ist eine Komposition, bei der eine Stimme nach der anderen einsetzt, um im Augenblick der Polyphonie schließlich ein neues Ganzes zu werden. In der Literatur meint Kanon hingegen die Zusammenstellung einzelner Werke, denen ein besonderer Wert zugeschrieben wird, der wie auch immer über die Zeit hinausweist. Es zeugt also von einer gewissen gewitzten Ambition nicht nur in herausfordernden Zeiten wie diesen, wenn der ehemalige langjährige Lektor und Geschäftsführer des Aufbau-Verlags, Gunnar Cynybulk, wie unlängst geschehen, einen Verlag gründet, den er Kanon nennt.«
Sandra Kegel, FAZ